Was darf Verdachtsberichterstattung - und was nicht?
16.06, 14:00–15:00 (Europe/Berlin), K8
Sprache: Deutsch

Die Zeitungen, das Fernsehen berichten täglich über schwere Straftaten, gesellschaftliche Missstände, Skandale. In den meisten Fällen sind die Vorwürfe, die erhoben werden, noch nicht bewiesen. Gleichwohl hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, über Fälle von großem Interesse rechtzeitig informiert zu werden. Dabei handelt es sich erst einmal um einen Verdacht, über den Journalisten da berichten. Deshalb müssen sie sich an bestimmte Regeln halten: die Regeln der Verdachtsberichterstattung.
Zunächst muss ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit bestehen. Weil es sich zu diesem Zeitpunkt um einen Verdacht handelt, der sich auch als unbegründet herausstellen kann, werden erhöhte Anforderungen an die Recherche und die Darstellung der gefundenen Ergebnisse gestellt. Bis zur Veröffentlichung muss der Journalist einen Mindestbestand an Beweistatsachen zusammengetragen haben, die die Berichterstattung rechtfertigen. Er darf sich dabei nicht auf Hörensagen verlassen, sondern er muss Dokumente zusammentragen und Zeugen finden, die seinen Verdacht bestätigen. Entlastende Aspekte dürfen aber nicht außer Acht gelassen werden. Der Journalist muss auch Indizien nachgehen, die nicht in seine Verdachtskette passen. Und wenn es schließlich belastbare Vorwürfe gibt, muss er dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme geben und diese in der Berichterstattung berücksichtigen. Das alles dient dem Zweck, in dem Bericht eine öffentliche Vorverurteilung zu vermeiden. Es muss immer noch klar zum Ausdruck kommen, dass es sich um einen Verdacht handelt.
Journalisten könnten die Regeln der Verdachtsberichterstattung als Einengung empfinden. Man kann es aber durchaus auch anders sehen. Diese Regeln machen es erst möglich, auf gesellschaftliche Missstände von großem öffentlichem Interesse frühzeitig und ausführlich hinzuweisen, auch wenn Vorwürfe noch nicht eindeutig zu beweisen sind. Sollte sich der Verdacht später als falsch herausstellen, kann das dem Journalisten nicht vorgeworfen, auch nicht gegen ihn geklagt werden, wenn er sich an die Regeln der Verdachtsberichterstattung gehalten hat.
Der auf Presserecht spezialisierte Rechtsanwalt Michael Fricke, wird von aktuellen Fällen aus seiner Praxis berichten und steht für Fragen zur Verfügung.

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Michael Fricke ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Partner von CMS Hasche Sigle mit Schwerpunkt im Presseäußerungsrecht und Urheberrecht. Er berät und vertritt Verlage, Rundfunkanstalten, Internetanbieter und Betroffene (Unternehmen und Einzelpersonen) sowohl im Vorfeld von Veröffentlichungen als auch bei anschließenden Rechtsstreitigkeiten. Außerdem führt er bundesweit Prozesse vor den Spezialkammern und –senaten der Landgerichte und der Oberlandesgerichte. Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Verlagsjustitiare. Zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen zählt, u. a. Kommentierung des Rechts am eigenen Bild in Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht.

Ingolf Gritschneder ist gelernter Jurist und seit 1988 freier Fernseh-Autor in Köln. Er hat an zahlreichen Reportagen, Dokumentationen, Features und Magazin-Beiträge mitgewirkt für verschiedene Sendereihen vorwiegend des WDR (die story) aber auch andere ARD-Anstalten und ARTE. Seine Themenschwerpunkte sind Umwelt und Wirtschaft, in den letzten Jahren u.a. mehrere investigative Dokumentationen zum Themenkomplex Korruption, Pleite von Sal.Oppenheim, Karstadt und solarworld; Wirtschaftsgeschichte im Dritten Reich. Er erhielt u.a. den Deutschen Fernsehpreis 2011, Deutschen Wirtschaftsfilmpreis 1996 und 2010, Georg-von-Holtzbrinck-Preis 2010, Otto-Brenner-Preis 2007 sowie den Leuchtturm 2005.