Wie wir eine Quelle überprüfen, in die Doku einbauen und trotzdem schützen! Am Beispiel der ZDF-Doku-Serie „Geständnisse eines Neonazis“
17.06, 12:15–13:15 (Europe/Berlin), K0 (Besucherzentrum)
Sprache: Deutsch

Eineinhalb Jahre sind vergangen, seit ein Neonazi-Aussteiger sich an uns gewandt hat, um auszupacken, aufzuklären und sich unseren Fragen zu stellen. Hunderte Seiten Interview-Abschriften später ist klar - ein Großteil dessen, was “Michael” uns erzählt hat, ist belegbar! Und im Mai wird die Doku-Serie „Geständnisse eines Neonazis“, als Dreiteiler in der ZDFmediathek und im linearen Fernsehen gezeigt.

Exklusiv berichtet darin Michael, wie sich Deutschlands Rechtsextreme auf den "Tag X" vorbereiten. Er spricht über Strukturen, Organisation und illegale Geschäfte, über Waffendeals und Schießtrainings mit Kriegswaffen. Um die Anonymität des inzwischen ausgestiegenen Insiders zu wahren, wird seine Person mithilfe einer Gaming-Engine verfremdet und seine Erzählung in der virtuellen Welt animiert – eine Machart, die man bislang nur aus Hollywood-Filmen und Computerspielen kennt.

Am Anfang stand für uns die Prämisse: Wir glauben "Michael" solange nichts - bis wir es durch eigene Recherchen belegen können. Alles muss eine Plausibilitätsprüfung durchlaufen. Denn unsere wichtigste Währung als Journalist*innen ist unsere Glaubwürdigkeit. Wir müssen besonders sorgfältig arbeiten, gerade wenn die Geschichte als Animation (nach-)erzählt wird.

Wir haben uns durch alte Ermittlungsakten und Presseberichte gewühlt, haben andere Aussteigerinnen gesprochen, haben uns durch antifaschistische Archive und Dokumentationszentren gegraben. Wir haben menschenverachtende Musik gehört und Tausende Fotos von Journalistinnen, die die extrem Rechte beobachten, gesichtet.
Unser Hauptproblem aber war: Wie interviewt man eine Quelle vollkommen anonym und erhält die Emotionen? Wie prüft man Erzählungen aus einer klandestin organisierten Szene, die sich über zwanzig Jahre verteilen? Wie behält man den Überblick und - wie finanziert man so ein aufwendiges Projekt?

Auf der NR-Jahrestagung werden wir einen Einblick in unsere Produktionsabläufe geben. Wir erklären, wie wir auf die innovative digitale Darstellungsform gekommen sind und welche Chancen, aber auch Risiken das Arbeiten mit einer virtuellen Welt mit sich bringt. Außerdem geben wir exklusive Einblicke in unsere Datenbank getriebene Recherche. Wir zeigen, wie wir den Überblick über die während eineinhalb Jahre eingehenden Ergebnisse unserer Nachforschungen behalten haben und wo unsere Grenzen lagen - denn manche Erzählungen ließen sich bis zuletzt nicht belegen.

Siehe auch:

Gert Monheim studierte Deutsch, Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Köln und schloss das Studium mit dem Staatsexamen ab. 1971 begann er seine journalistische Laufbahn beim WDR. Nachdem er zunächst mehrere Jahre als Reporter für aktuelle Redaktionen gearbeitet hatte, wechselte er 1979 in die Hauptabteilung „Politik“ und realisierte eine ganze Reihe von gesellschaftkritischen Dokumentationen und Dokumentarfilmen. Ab 1996 war er beim WDR hauptverantwortlich für die Redaktion „Menschen hautnah“. 1999/2000 gründete er die Sendereihe „die Story“, die politische, auch investigative Dokumentationen aus dem Inland und Ausland für das WDR Fernsehen und die ARD realisiert. Für seine Dokumentationen und Reportagen bekam er zahlreiche Auszeichnungen. 2010 wurde er mit dem Sonderpreis des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises geehrt. 2007 erhielt er für „Der Gotteskrieger und seine Frau“ den Deutschen Fernsehpreis für die beste Reportage. Gert Monheim wurde für seine Arbeiten insgesamt mit drei Grimme-Preisen ausgezeichnet, u.a. im Jahre 2004 für die Entwicklung der Sendereihe die story.

Diese(r) Vortragende hält außerdem:

Dennis Leiffels, Co-Founder & CEO der sendefähig GmbH, entwickelt journalistische Formate und Teams, die wertebasiert mit relevanten Inhalten ihre Zielgruppe erreichen (Web & TV). Seit mehr als zehn Jahren arbeitet er investigativ als Journalist und veröffentlicht Dokumentationen. Bei diesem Projekt arbeitet er als Autor, führt Regie und Produzent. https://www.sendefaehig.com/

(Foto: Benjamin Eichler)

David Speier, arbeitet als freier (Foto)journalist und erstellt Fotoreportagen und Texte, über sozialen Bewegungen, die extreme Rechten und das Spannungsfeld zwischen Politik und Gesellschaft. Speier ist in diesem Projekt der Verwalter der Datenbank und hat dafür gesorgt, dass unsere Recherche katalogisiert, archiviert und abrufbar gemacht wird. https://david-speier.de/

Michael Trammer, freier Journalist, arbeitet am liebsten multimedial und investigativ. Er schreibt, recherchiert und dreht meist zu sozialen Bewegungen, sozialer Ungleichheit, Migration und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Bei diesem Projekt hat er vor allem online und offline, absurde Dinge gefunden und sich manchmal zu tief in die Welt der militanten Neonazis eingegraben.

(Foto: Sitara Thalia Ambrosio)